09 Exillyrik

In Wolfskehls Exillyrik findet eine grundlegende existenzielle Auseinandersetzung
mit der eigenen jüdischen Herkunft statt

Am Seder zu sagen. Das Gedicht ist Teil des Zyklus Die Stimme spricht. Hier in einer ungedruckten Variante (ohne Datierung). Wolfskehl überarbeitete viele seiner Gedichte auch noch nach deren Veröffentlichung stetig weiter. Bis heute hat dieses Gedicht eine ganz eigene Wirkung und findet sich zum Beispiel in der 2. Auflage der Offenbacher Haggadah (1960), die von Siegfried Guggenheim herausgegeben wurde.
© Deutsches Literaturarchiv Marbach
Gerade die Verfolgung und Vernichtung der europäischen Juden drängt Wolfskehl zu einer Gottsuche. Lyrik wird für Wolfskehl zur einzig möglichen Form, mit dem Gott des Alten Bundes in Kontakt zu treten, ihn anzurufen und auszudeuten, einen neuen Bund zwischen Gott und dem auserwählten Volk allein durch das lyrische Wort erfahrbar zu machen. Bereits 1933 begann Wolfskehl mit der Gedichtsammlung Die Stimme spricht. Dieser Band wurde im November 1934 im Schocken Verlag, Berlin, publiziert. In den Gedichten findet eine Auseinandersetzung des Ichs mit seinem jüdischen Glauben statt. Diese Reflexion wird mittels des Dialogs zwischen einem namenlosen Ich und einer göttlichen Stimme transportiert. 


Verwalterin des Nachlasses

Welche wichtige Rolle Ruben in Wolfskehls Leben spielte, zeigte sich darin, dass er Ruben, die ihn jahrelang sowohl privat als auch in seinem beruflichen Schaffensprozess begleitet hatte, zu seiner Nachlassverwalterin ernannte. 

In den Jahren nach Wolfskehls Tod gründete Margot Ruben das Wolfskehl-Archiv in London und kam Wolfskehls letztem Wunsch nach, dessen Exilwerk baldmöglichst herauszubringen. Darunter zu finden sind unter anderem Zehn Jahre Exil: Briefe aus Neuseeland 1938–1948 und Karl Wolfskehl: Gesammelte Werke. 1. Bd.: Dichtungen, dramatische Dichtungen. 2. Bd.: Übertragungen, Prosa sowie Karl Wolfskehl: Briefe und Aufsätze. 1971 übergab sie den literarischen Nachlass dem Marbacher Literaturarchiv. Die öffentliche Vermittlung des Gesamtwerkes ist somit wesentlich Margot Ruben zu verdanken. 
Zeitgleich zu Die Stimme spricht begann Wolfskehl mit dem zweiteiligen Gedicht An die Deutschen. Das Gedicht zirkulierte zunächst zwischen ausgewählten Leserinnen und Lesern. Erst 1947 wurde es im Origo Verlag, Zürich, veröffentlicht. Der erste Teil, Das Lied, zeigt Wolfskehls tiefe Verbundenheit zur deutschen Kultur und zur jüdischen Tradition. Im deutlichen Kontrast hierzu steht der zweite Teil, Abgesang: Hier wird die von den Deutschen (»Teut«) ausgehende Zerstörung der lange währenden deutsch-jüdischen Verbundenheit angeklagt. 

INRI oder Die Vier Tafeln ist ein Zyklus, den Wolfskehl über einen längeren Zeitraum seit den frühen 1930er-Jahren verfasste. Er erschien erstmals 1960 in der von Margot Ruben und Claus Victor Bock herausgegeben Gesamtausgabe. Wolfskehl reflektiert in dem Zyklus die Gestalt Jesu aus jüdischer Sicht. Auf der Schifffahrt nach Neuseeland, 1938, befasste sich Wolfskehl mit Hiob. In dem Gedichtzyklus steht die Geschichte des leidgeprüften Hiob in engem Zusammenhang mit weiteren biblischen Leidensfiguren. Darüber hinaus verbindet Wolfskehl die immer wiederkehrende Leidensgeschichte der Juden mit dem dennoch stetig bewahrten Glauben an Gott. Wolfskehl arbeitete 1944/45 an der Vollendung des Zyklus Hiob oder Die Vier Spiegel, veröffentlicht wurde er jedoch erst 1950 im Hamburger Claassen Verlag

Der Zyklus Mittelmeer oder Die Fünf Fenster entstand zwischen 1938 und 1946. Ein Feigenbaum, der im Garten seiner ersten Aucklander Unterkunft wuchs, verhalf Wolfskehl die Erinnerung an das Mittelmeer lebendig zu halten und wurde zu einem wichtigen Motiv dieses Zyklus. Veröffentlicht wurde der Zyklus zusammen mit mehreren Einzelgedichten schließlich 1950 in Sang aus dem Exil wieder im Zürcher Origo Verlag. Dieser Band wurde noch von Wolfskehl zusammengestellt, erschien aber erst nach seinem Tod.
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