03 Wolfskehl und George

1892 kommt Karl Wolfskehl während seiner Gießener Studienzeit zum ersten Mal mit Stefan Georges Gedichten über seinen Freund Georg Edward in Berührung

Begeistert schrieb er am 16. 11. 1892 einen ersten Brief an George. Knapp ein Jahr später, am 12. 10. 1893, kam es zum ersten gemeinsamen Treffen in München. George studierte zu dieser Zeit an der Ludwig-Maximilians-Universität. Zwischen ihm und Wolfskehl entstand eine enge Freundschaft. 

Wolfskehl beschrieb das erste Treffen als die Initialzündung für seine weitere dichterische Entwicklung: George ist sein »Meister«, derjenige, der ihn zum Dichter berufen hat. George wiederum hielt sich ab 1899 häufig bei Hanna und Karl Wolfskehl in München auf. Zwischen ihm und den Wolfskehls entstand eine enge Freundschaft. Meist zu Jahresbeginn verbrachte George mehrere Wochen bei den Wolfskehls und nahm an den »Jours« in der Leopoldstraße, von Hanna und Karl Wolfskehl organisierte künstlerisch-literarische Treffen, teil. 1909, mit dem Umzug in die Römerstraße 16, richteten die Wolfskehls für George eine eigene Unterkunft ein. Das sogenannte Kugelzimmer wurde zum zentralen Versammlungsort bei Georges Münchner Aufenthalten. Ähnlich wie Karl Wolfskehl ließen sich auch viele andere junge Dichter nach und nach von George inspirieren; das führte um 1900 allmählich zur Bildung des George-Kreises.


Dichtertafel aus Blätter für die Kunst7. Folge (1904).
Im Zentrum: Stefan George
1. Reihe: Ludwig Klages, Alfred Schuler, Ludwig Derleth 
2. Reihe: Karl Wolfskehl, Hugo von Hofmannsthal, Paul Gérardy
3. Reihe: Melchior Lechter, Carl August Klein unter George: Richard Perls 4. Reihe: Henry von Heiseler, Friedrich Gundolf, Lothar Treuge © Stefan George Archiv, Stuttgart 

Rolle und Maskerade: Wiederholt fanden bei den Wolfskehls Feste statt, die Verkleidung bot die Möglichkeit andere Identitäten zu erproben. Hier der antike Dichterzug am 16. 2. 1904: erster von links Maximilian Kronberger, zweiter von links Stefan George als Dante, zweiter von rechts: Wolfskehl als Homer.
Foto: Richard Ferdinand Schmitz
© Stefan George Archiv, Stuttgart


Zeugnis einer frühen Freundschaft: Portrait Karl Wolfskehls mit Widmung für George. 
Foto: Wilhelm Weimer, Darmstadt 1895
© Stefan George Archiv, Stuttgart


Zeugnis einer fortgeschrittenen Freundschaft: Brief Wolfskehls an George mit Georges Vermerk: »Vollkommen unlesbar«, 1903. Wolfskehls Handschrift war ebenso markant wie kryptisch.
© Stefan George Archiv, Stuttgart



1892 beginnt George mit der Veröffentlichung der Blätter für die Kunst 

Neben seinen eigenen Gedichten wurden dort auch zahlreiche andere Dichter veröffentlicht, die George sorgfältig auswählte. Die Künstler-Collage aus den Blättern für die Kunst (7. Folge, 1904) zeigt den Schirm- und dichterischen Schutzherren im Profil, umringt von seinen Anhängern, unter denen sich auch Karl Wolfskehl befindet. Interessant ist, dass sich keiner der anderen Künstler so stark im Profil zeigt wie George. Er fungierte als Meister und Mentor einer stetig wachsenden Gruppe von Künstlern und Literaten, die sich einer ganzheitlichen Hingabe an die Dichtung und an George selbst verschrieb.

Einseitig war diese Verehrung trotz all der hierarchischen Merkmale des Kreises dennoch nicht. Stefan George war Wolfskehl tief verbunden und brachte ihm hohe Wertschätzung und Respekt entgegen, was in handschriftlichen Widmungen und an Wolfskehl gerichteten Gedichten zum Ausdruck kommt. Für Wolfskehl sollten die Blätter für die Kunst ab 1894 ein wichtiger Publikationsort für Gedichte und Essays sein. Zusätzlich bestärkte Wolfskehl mit theoretischen Aufsätzen über George dessen sakral-charismatische Aura. Darüber hinaus arbeiteten Wolfskehl und George als Herausgeber und veröffentlichten gemeinsam ab 1900 die schließlich drei Bände umfassende Anthologiereihe Deutsche Dichtung

Der direkte Kontakt endete 1918/19 mit dem Umzug der Wolfskehls nach Kiechlinsbergen. Dennoch blieben George und Wolfskehls brieflich in Kontakt. Hanna und Karl Wolfskehl waren zwei der wenigen Freunde, die bei dem Begräbnis Georges in Minusio/Italien am 4.  12.  1933 anwesend waren. Im späten lyrischen Wirken Wolfskehls nimmt George posthum wieder eine hervorgehobene Rolle als Meister ein. Diese geistige Verbindung bildete für Wolfskehl ein inneres Gegengewicht zu Fremdheit und Verbannung im Exil.

Wolfskehls erster Brief an George, 16. 11. 1892
© Stefan George Archiv, Stuttgart


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